browser icon
You are using an insecure version of your web browser. Please update your browser!
Using an outdated browser makes your computer unsafe. For a safer, faster, more enjoyable user experience, please update your browser today or try a newer browser.

Trachten

Die Entwicklung der Volkstracht in Unterfranken von 1850 bis 2000 am Beispiel von Geldersheim – Aufsatz von Oliver Brust, Geldersheim, 13.05.2013



 

Trachten-Pracht, so haben wir den Bildkalender 2014 überschrieben, den wir zusammen mit Jürgen Kohl vom Revista Verlag Schweinfurt erstellt haben. Dass Trachten etwas Prächtiges sind und woher diese besondere Kleidung kommt, möchte ich Ihnen, werte Leser, im Folgenden erläutern. „Wer statt Tracht Kleidung sagt, unterstützt schon viele Irrtümer nicht!“ – Dieses Zitat aus Richard Reinhart’s Buch „Kleidung in einem fränkischen Dorf“ drückt genau das aus, was Tracht ausmacht. Die Trachten in unserer Gegend stammen aus der Zeit um 1800 bis 1950. Eine große Zeitspanne, in der sich die Kleidung der Menschen immer wieder verändert hat. Was aber als Tracht bezeichnet wird, ist die Kleidung der Menschen in einem bestimmten Gebiet, die regionaltypisch einheitlich ist und sich von der Kleidung in anderen Regionen unterscheidet. Eine z.B. typisch Geldersheimer oder Schnackenwerther Tracht als solches gab es nicht. Es gab jedoch auch hier örtliche Unterschiede, die den Betrachter bei genauem Hinsehen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dorfgemeinschaft erkennen lassen. Im großen Gesamtblick kann man von der „Werntaltracht“ sprechen, die im Norden bis in die Münnerstädter Gegend im Süden bis vor die Tore Würzburgs bis zu den Hassbergen im Osten und im Westen bis in die Karlstadter Gegend im Wesentlichen einheitlich ist.

Da heute für die traditionelle Bauernkleidung der Begriff „Tracht“ vorherrschend ist, werde ich diesen im Folgenden verwenden; wohlwissend, dass damit lediglich Kleidung gemeint ist. Doch woher kommt überhaupt die unterschiedliche Kleidungsweise für jeden Stand? Die Antwort dazu könnten die Kleiderordnungen geben, die in den einzelnen souveränen Fürstenhäusern und Grafschaften ihre Geltung besaßen und den verschiedenen Ständen, wie Adel, Bauern, Bürger etc. vorschrieben, was bzw. welche Farben, welche Materialien getragen werden durften.

Da es kein einheitliches Deutschland seit dem Mittelalter gegeben hat, sondern viele selbständige Herrschaftsgebiete, gibt es so viele verschiedene Trachtengebiete. Kleiderordnungen waren in Deutschland. seit dem 14. Jh. ein ständig wiederkehrender Teil der Gesetzgebung. Erst im 18. Jh. verloren sie an Bedeutung und die Bauernkleidung konnte prunkvoller und reicher an edlen Stoffen und Materialien werden.

Waren doch bis zum Beginn des 19. Jh. den Bauern nur grobe und meistens selbstgewebte Stoffe zugänglich, so änderte sich in der Frauen- und sogar Männerkleidung in einigen Bereichen die Stoffqualität. Materialien wie Samt, Seide, goldene Borten wurden in das Gesamtbild der Tracht integriert.

So ähnlich wie wir auch heute zwischen festlicher und Arbeitskleidung unterscheiden, so gab es für die Generation meiner Urgroßeltern: Werktagskleidung für Feld und Stall, abgetragenere Stücke für Daheim, Kleidung für die „Werketogskirch“, für die hohen Feiertage, für einfache Sonntage und all das noch einmal in den diversen Stoffqualitäten für die Trauerzeit. Dass für die Menschen von damals ihre Kleidung keine „Tracht“, sondern eben nur eine „Bekleidung“ war die sie von den Menschen aus anderen Gegenden, bzw. von Menschen aus der Stadt unterschied, dafür stehen die gewachsenen Ausdrücke: „Baurische“ und „städtische Kläder“.

Die Tracht wurde immer auch von modischen Einflüssen verändert. Allerdings gab es keine schnelllebigen Modeerscheinungen, sondern eher Veränderungen, die meist über Jahrzehnte hin zu verschiedenen Trachtenepochen geführt haben.

Es gibt z.B. das Phänomen, dass die Bauern die Kleidung des Adels kopieren wollten, allerdings etwas abgewandelt, dem ländlichen Geschmack angepasst und zeitversetzt. So finden wir z.B. in der Männertracht der ersten Hälfte des 19. Jh. die weißen Kniestrümpfe, die mit Strumpfbändern gehalten wurden, die Schnallenschuhe, das geknotete Halstuch und den Dreispitz aus der französischen Mode des Hofes im 17. Jh. Der blaue Gehrock mit den eckigen Schößen und dem Überschlagkragen ist auf die englische Mode des 18. Jh. zurückzuführen. Als anderes Beispiel dienen die Schinkenärmel und das Fischbeinkorsett aus dem frühen 19. Jahrhundert, denn diese finden wir in den „Körresklädern“ der Frauentracht aus den 1910-1930 Jahren wieder. Wenn auch die Mode einen solchen Einfluss auf die Tracht hatte, so kann man diesen nicht mit den heutigen Modeerscheinungen vergleichen.

Doch nun speziell zu den Trachtengebieten in Unterfranken. Bei uns in Unterfranken gibt es drei große Trachtengebiete: Den Ochsenfurter Gau im Süden, den Bereich um Schweinfurt im Zentrum und die Rhön und das Grabfeld im Norden. Weitere kleinere Bereiche bilden das evang. Kitzingen und die Grafschaft Wertheim im Spessart. Wir Geldersheimer gehören zum Bereich um Schweinfurt. Die Tracht in diesem ganzen Bereich, der von Bad Kissingen bis Karlstadt reicht, wird häufig auch als „Geldersheimer Tracht“ bezeichnet, da wohl Geldersheim eines der ältesten und wohlhabendsten Bauerndörfer im Schweinfurter Gau war. Die Entwicklung der Tracht, wie auch die Abstufungen war in den einzelnen Teilgebieten ähnlich.

Während die Männer die traditionelle Tracht bereits um 1850 ablegten und sich der städtischen Mode unterwarfen, entwickelte sich die Frauentracht bis ca. 1960 weiter. Dieser Unterschied liegt wohl darin begründet, dass die Männer i.d.R. die geschäftlichen Dinge in der Stadt erledigten und sich somit früher dem städtischen Kleidungsverhalten anpassten.

Ein weiterer Grund könnte die gesellschaftliche Rolle der Frauen sein; denn eine solche grundlegende und finanzielle Entscheidung, wie die Umstellung von Tracht auf modernen Kleidung, konnte keine Frau alleine treffen. Es gab zu jeder Zeit Abstufungen der Kleidung je nach Anlässen, genauso wie heute. Jedoch waren diese in früherer Zeit viel diffiziler als heute.

Die sogenannte „Alte Frauentracht“ wurde in der Zeit von 1800 bis 1880 getragen. Hierzu gehören der Wattrock (ähnlich wie ein Reifrock), der den eng plissierten meist roten Oberrock, der mit seidenen Bändern besetzt ist, stolz vom Körper abstehen lässt und bei jedem Schritt majestätisch schwingen lässt. Auf dem roten Rock wird eine andersfarbige meist zweifarbig schillernde Seidentaftschürze getragen. Das Oberteil zur Festtracht nennt man Körres. Der Körres war aus gemusterter Seide gefertigt und mit zahlreichen Goldborten um den Brustausschnitt verziert. Die Ärmel standen noch nicht so steil nach oben, wie das bei der Tracht nach 1900 üblich war. Über dem Brustausschnitt wurde ein runder weißer Spitzenkragen getragen. Darüber ein seidenes Tuch mit geflammtem Muster gelegt, dessen Enden nach hinten geschlungen wurden und dort in einem losen Knoten den Rücken herunterhingen. Die Kopfbedeckung war zur Hochzeit der „hohe Kranz“ oder auch „Flitterkranz“ genannt. Verheiratete Frauen trugen die schwarze Bänderhaube. Ab 1880 kamen vermehrt schwarze Körres aus Tuchstoff auf, die aber immer noch sehr aufwändig mit Goldborten verziert waren. Die Schürzen waren in dieser Zeit nicht mehr so bunt wie um 1850. Auch verzichteten die Geldersheimer Bäuerinnen schon auf das Schürzenband. Die Schürzen wurden fortan mit Haken und Ösen geschlossen. Wir befinden uns also in einer Übergangszeit von der sog. „alten Tracht“ zur „neuen Tracht“ aus der Zeit um 1920. Die ursprünglich beliebten geflammten Tücher wurden durch große Wollmouselintücher mit dem „Türkenmuster“ (orientalische Rankenmuster) ersetzt, die dann auch schon über der Brust gekreuzt getragen wurden. Die Tuchenden wurden nicht mehr im Nacken geschlungen sondern in den Schürzenbund gesteckt. Die Verzierung der Körres war somit nicht mehr zu sehen und so veränderten sich auch die Körres. Die Ärmelstulpen in den Nachbardörfern von Geldersheim wurden in der Zeit um 1920 bunt verziert. Die Geldersheimer Trachtenschneiderinnen hielten aber auch in der Zeit um 1920 an der alten Machart der Ärmel fest. In die Türkenmustertücher kamen um 1900 immer mehr Blumenmuster hinzu und es folgten dann ab 1910 die reinen Blumenmustertücher, die sich in der Tracht bis heute gehalten haben. Der Einfluss der Mode ist auch beim Übergang von der sehr bunten „alten Tracht“ zur 1920-er Form der „neuen Tracht“ erkennbar. Waren früher noch Rock und Körres aus verschiedenen Materialien und Farben, so wurde ab 1920 ein einheitlicher meist schwarzer Seidenstoff für Körres und Rock verwandt. Es gab aber auch schrille Farben für das Körreskleid. Auch hier spielt wie heute der Geschmack der Trägerin eine wichtige Rolle. Als Schmuck wurde ein Biedermeier-Kreuz aus Schaumgold an silbernen Erbsketten getragen. Die Schürzen waren meist schwarzgrundig und mit einfarbigen Blumenmustern versehen. Aber auch helle Seidendamastschürzen waren üblich. Die Frauentracht erlebte um 1920 eine zweite Blüte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Tracht noch einmal zur letzten als „lebendige Tracht“ zu bezeichnende Form. Die Röcke und Schürzen blieben unverändert, aber der etwas unbequeme Körres wurde durch eine „Bluse“ ersetzt, die meist auch aus demselben Stoff wie der Rock gefertigt war. Die Schürze trug man über der Bluse und hinten stand ein kleines Schößchen ab. Schultertücher wurden nicht mehr getragen. Man verwendete die Schultertücher als Kopftücher. Diese letzte Trachtenform hat sich in Geldersheim bis zum Tod der letzten Trachtenträgerin im Jahr 2000 gehalten. Seitdem tragen nurmehr nur die Frauen und Mädchen vom Verein für Heimat- u. Brauchtumspflege Geldersheim e.V. die Tracht zu besonderen Anlässen wie zur Kirchweih oder an Trachtenfesten und Tanzabenden oder auch zu Fronleichnam.

Eine andere Entwicklung hat die Männertracht gemacht. Die als typisch fränkisch bekannte Tracht mit der gelben Kniebundhose, der roten Tuchweste und der blauen Joppe darüber und als Kopfbedeckung der Dreispitz veränderte sich in der Zeit um 1880. Statt der kurzen gelben meist hirschledernen Hose wurden schwarze lange Tuchhosen getragen. Später folgte statt des Dreispitzes ein runder Hut. Schließlich gingen die Männer ab 1900 nicht mehr baurisch, sondern trugen die europaweit modernen schwarzen Gehröcke, dazu eine Fliege und einen Zylinder. Für die Männer endete damit die Trachtenepoche, obwohl die Frauentracht sich noch zweimal weiterentwickelte. Ich will aber noch einmal auf die alte Männertracht eingehen. Die gelben Kniebundhosen waren ursprünglich aus Hirschleder und hatten an den Bein-Enden keinen besonderen Abschluss, die weißen Baumwollstrümpfe (manchmal auch blaue oder blau-weiß melierte Strümpfe) wurden über die Hosenbeine gezogen und mit einem Lederriemen gehalten. Bei den Trachtenvereinen werden die Hosen heutzutage aber als Bundhosen gefertigt und über den Strümpfen getragen. Als Schuhe wurden schwarz-lederne Schnallen-Schuhe getragen. Zur später aufgekommenen schwarzen langen „Röhrleshose“ gab es auch für Männer gestickte Straminschuhe. Neben der roten Tuchweste gab es für die wohlhabenden Bauern auch bunt-seidene oder samtene Westen in verschiedenen Farben. Die blaue Joppe wurde eigentlich nur zu den einfacheren Sonntagen getragen. Zu hohen Feiertagen trug der Bauer einen langen blauen Gehrock, den „langen Mutzen“. Meist nicht zu sehen waren die auf Stramin gestickten Hosenträger. Der Dreispitz (Hut) war mit goldenen und samtenen Borten und Quasten verziert. Für einfachere Anlässe gab es noch die „Pelzkappli“. Armbanduhren gab es für Männer und Frauen noch keine. Während die Frauen meist keine Uhren trugen, so trug der Bauer eine Taschenuhr. Manche aufwändige Uhrketten wurden um den Hals getragen und waren mit einem „Schieber“ versehen. Andere Uhrketten waren sogar aus Haaren gefertigt worden.

Was heißt Trachtler-Sein heute? Tracht ist nicht ein Kostüm, das man nun einmal trägt, weil es eben schick ist, Tracht tragen heißt, sich zu den überlieferten Bräuchen seiner Heimat zu bekennen und sich so zu verhalten wie es Tradition und Anstand gebieten. Die lebendige Tracht, wie sie die „Baurischen“ noch getragen haben, gibt es in dem ursprünglichen Sinn nicht mehr. Denn damals war die Tracht stetige Kleidung für das ganze Leben für jeden Anlass (für Arbeit, Fest und Trauerzeit). Wir tragen heute unsere Trachten zumindest an einigen Tagen im Monat mit Stolz und zeigen so, dass wir zu unserer Heimat stehen. Trachttragen ist auch heute machbar. Nicht zu jedem Anlass und nicht unbedingt im Berufsleben, aber es gibt die Möglichkeit sich ganz festlich und auch leger in der fränkischen Tracht zu kleiden. Wichtig ist, dass man sich darin wohl fühlt und auch verschiedene Trachten zur Auswahl hat, um sich seinem jeweiligen Geschmack entsprechend anziehen zu können.

Am Gautrachtenfest, das wir zum Anlass unseres 25-jährigen Vereinsjubiläums vom 14.-17.06.2013 in Geldersheim feiern (www.trachtenfest-geldersheim.de), können Sie die Vielfalt der Trachten aus Franken und auch zahlreiche Trachten aus Südbayern erleben. Zusammen mit Jürgen Kohl vom Revista-Verlag haben wir einen Bildkalender „Trachten-Pracht 2014“ zusammengestellt, der verschiedene Trachten von der Arbeit bis zum Festtag zeigt. Hier erkennt man, dass Tracht auch Pracht bedeutet, dass die „gute, alte Zeit“ auch anstrengend war und aber auch dass bei uns im Verein alle Altersgruppen von den Kindern und Jugendlichen über die Erwachsenen bis zu den Senioren die Trachten tragen. Tracht ist einfach mehr als ein Hobby! Der Wahlspruch vieler Trachtenvereine lautet deshalb: „Sitt’ und Tracht der Alten, wollen wir erhalten!“

 

 

Oliver Brust, 13.05.2013